Es ist einfach Fakt, dass der bei weitem größte Marktanteil nicht mehr vom gutem
Mittelklasse-Hifi wie noch vor 10 oder 20 Jahren abgedeckt wird, sondern von billig
produzierter Großserienelektronik aus Fernost, die uns in dauerhaften
Tiefstpreisaktionen im Mitnahmemarkt angeboten wird.
Diese Entwicklung ist andererseits nur konsequent, denn das Kaufverhalten der breiten Masse
scheint in fast allen Lebensbereichen sich in die Richtung "Hauptsache billig!" entwickelt
zu haben.
Wir kaufen unsere Lebensmittel beim Discounter. Wir haben uns an Cola und McDonalds derart
gewöhnt, dass vielen mit einem 3-Sterne-Essen und einem guten Bordeaux kein Gefallen mehr
getan werden kann.
Ähnliches trifft auf unseren Musik-KONSUM zu: Nur noch wenige scheinen in einer ruhigen
Stunde noch ein Album in Gänze geniessen zu können. MP3-Dowloads, Internetradio und eigene Playlists
lassen häufig das Musikhören in den eigenen vier Wänden zu nicht viel mehr verkommen als das
beiläufige Gedudel der weitverbreiteten privaten (und mittlerweile immer häufiger öffentlich-rechtlichen)
Progarmmradiosendern, die ihrerseits täglich die immer gleiche MP3-Playlist abspulen.
Für ein derartiges Musik-Konsumverhalten dürfen Micro- und Heimkinoanlagen vom Großelektromarkt
als genauso ausreichend geltend wie ein Big-Mac für einen bekennenden Fastfood-Liebhaber.
Wer sich im Beschriebenem wiederfindet, braucht kaum weiterlesen, denn ihm wird sicher das Verständnis
für das Hobby "Hifi" und den damit potenziell verbundenen Musikgenuss fehlen.
Gesagtes mag als Erklärungsversuch gelten, warum Hifi in dem Dilemma steckt, bei der breiten
Masse keinen Zuspruch mehr zu finden. Zu einem Großteil darf dies auch als Selbstverschulden
gelten. Denn die letzen Jahre haben sich auch etablierte Hifi-Geräte-Hersteller darauf konzentriert
auf die Züge aufzuspringen, die versprachen, sinkende Verkaufszahlen wieder anzukurbeln:
Es gab immer kleinere Microanlagen. Die Lausprecher wurden schlanker und immer mehr Designobjekt als
akustisch ausgetüfteltes Gehäuse.
Am besten man bot gleich ein Mehrkanalset an, bestehend aus möglichst kleinen Hochtöner-Satelliten
und einem separaten Mitteltöner (getarnt als Subwoofer), der sich beschähmt unterm Sofa verstecken
und hier ein wenig poltern durfte. Mehrkanal- und PC-ähnliche Multiformatplayer lösten den
CD-Player ab und bestechen vor allem mit ihrer Feature-Vielfalt und "Zukunftssicherheit" via
Software-Update. Ähnlich verhält es sich mit den allseits beliebten Mehrkanalreceivern, die meist mit
einem klein dimensionierten Netzteil (Achtung: die Angabe 6 x 150 W ist häufig bei Belastung eines Kanals
mit einem Testsignal gemessen; tatsächliche dynamische Musik- oder Heimkinowiedergabe zeitgleich auf allen Kanälen kann
trotzdessen deutlich limitiert sein) einen Radiotuner, eine Prozessorvorstufe und bis zu 7 Endstufen in ihren
dichtgedrängten Gehäusen speisen müssen - alles TV-Menü-gesteuert, versteht sich.
Welche Vorteile dies für eine naturgetreue Wiedergabe von Musik bieten soll, darf angesichts
datenkomprimierten und MP3-like klingender und nachträglich mehrkanalig-gesoundeter Aufnahmen (am besten
mit Video, damit für Audio eine noch geringere Datenrate übrig bleibt) bezweifelt werden.
Ein leichtes sich vor Augen zu führen, dass gleiches Geld in einen vernünftigen Stereo-Vollverstärker
gesteckt anstatt in oben beschriebene hochintegrierte Mehrkanal-Receiver,
wohl zu einem ungleich besseren Ergebnis führen wird. Von der Beeinflussung der dichtgedrängten
Komponenten untereinander ganz zu schweigen. Nun sind meines Wissens aber Stereo-Receiver (Radiotuner in
Vollverstärker) vom Markt verschwunden, so dass der Musikbegeisterte separate und damit meist teurere
Geräte kaufen muss. Da zudem eine entsprechend größere Geräteanzahl aber in modernen Wohnambienten meist
nicht mehr gewünscht ist, wird notgedrungen zu den Mehrkanalgeräten gegriffen.
Im Hinblick auf in Hülle und Fülle vorliegende 2-kanalige Musik (auf Standard-CD oder
Vinyl-LP) im Vergleich zu selteneren und meist eher schlecht gemachten Mehrkanal-Musik (bei Klassik mit Hall
von hinten, bei Pop ein paar Effekte, deren musikalische Qualität zumindest fragwürdig ist), darf somit der
enorme Mehrkanalgeräte- und Lautsprecher-Marktanteil als das Resultat einer erfolgreichen Marketingstrategie gelten.
Wer einem drei Mikrowellenherde anstatt eines benötigten verkauft, darf auch als guter Verkäufer gelten.
Das Dilemma besteht nun darin, dass nur noch wenige echtes Hifi kennenlernen durften bzw. erkennen
würden.
Die Cola haben wir bereits als den neuen Bordeaux Grand Cru akzeptiert.
Ich kann nur jedem Zweifler empfehlen, sich in einer ruhigen Stunde einmal bei einem Hifi-Begeisterten bzw. einem
vertrauensvollen Einzelhändler eine anständig zusammengestellte und aufgestellte Hifi-Anlage vorführen zu lassen.
Das öffnet u.U. die Ohren!