In meiner Einleitung zum Highend 2006 Messebericht habe ich es schon angedeutet: Der Besuch bei Pioneer geriet für mich zur handfesten Überraschung. Bislang habe ich Pioneer - auch aus Hörerfahrungen heraus - eher in die Schublade wenig wohlklingendes Surroundsound-Getöse geschoben. Die Ausstellungsfläche (Bild 1) vor dem eigentlichen Vorführ-Container bestätigte diese Vermutung mit dem ausgestellten Center-Speaker und dem grossen Plasmafernseher zu alledem noch. Doch halt! Hatte ich nicht in irgendeinem Hifi-Blättchen gelesen, dass es sich bei den ausgestellten Lautsprechern um ernsthafte Hifi-Speaker handeln solle. Ok, geben wir den Lautsprechern ihre Chance - zumal der an Thiel (der Amerikanische) erinnernde Mittel-Hochton-Koax-Töner eventuell für ein ensprechendes Klangbild sorgen könnte.
Im Inneren wurde ich dann von zwei einsamen Franzosen empfangen, die mich sehr geschäftstüchtig und mit dem notwendigen Enthusiasmus über das Konzept und die Entwicklungsgeschichte der wenig blumig benannten S-1EX Standlautsprecher (Bild 1 und 2) ins Bild setzten. Da hätten sich viele eher arrogant auftretende Vertriebler anderer Aussteller eine dicke Scheibe von abschneiden können. Auf der oben genannten Pioneer-Seite erfährt man viele technische Details, so dass ich mir an dieser Stelle eine ausführliche Beschreibung sparen kann. Soviel sei kurz erwähnt: Das besagte Koaxial-Chassis (Bild 3) steuert TAD-Lautsprechertechnik bei, die dieses in ähnlicher Form auch bei ihrem hochgelobten Referenz-Lautsprecher TAD-M1 einsetzen. Grob gesprochen arbeitet hier ein Berylium-Hochtöner in einem flach gehaltenen Magnesium-Konus. Das reduziert den Horneffekt, dem der Hochtöner durch den umgebenden Mitteltöner ausgesetzt ist, und der aufgrund der sich bewegenden Mittelton-Membran den prinzipbedingten Nachteil solcher Koax-Treiber darstellt. Ansonsten verspricht solch ein Chassis, dass der Punktschallquelle schon sehr nahe kommt, ausgezeichnete räumliche Abbilung und ein gutes Timing. Bei den beiden Tieftöneren handelt es sich um sehr aufwendige 18er Aramidfaser-Chassis, bei denen Konus und Staubschutzkalotte aus einem Stück gefertigt werden. Der Antrieb mit 65mm (!) Schwingspule und der grosszügig hinterlüftete Korb, versprechen eine Tieftonwiedergabe ab 400Hz. Das gut versteifte Gehäuse hat keine parallelen Wände und Wandstärken von bis zu 100mm an der aus Zeitrichtigkeit gebogenen Schallwand (Bild 2). Alles in allem also ein absoluter State-of-the-Art Lautsprecher in schickem Finish. Wenn nun anstatt Pioneer glorifizerte Markennamen wie LumenWhite, Avalon o.ä. draufstehen würde, müsste man beim Preisschild mit einer Null mehr rechnen. So bleibt der Paarpreis mit ca. 8.000 EUR dem getriebenen Aufwand gegenüber angemessen und zeigt überteuertem Highend die rote Karte.
Ist ja alles schön und gut, aber gut klingen muss es ja auch noch. Beim ersten rockigen Blues Titel aus der alt-ehrwürdigen Pioneer-Anlage, bestehend aus C7 Vorverstärker, M8 Endstufe und einem modernen wenig highfidelen Multi-Formatspieler, wurde dann deutlich, dass man auch bei der Abstimmung nichts dem Zufall überlassen hatte. Hier halfen sicher auch die TAD-Ingenieure und die Ton-Meister aus den Londoner AIR Studios auf die nicht ohne Stolz verwiesen wird. Bei allen nun folgenden Klangbeschreibungen gilt immer noch zu bendenken, dass man sich mit der angeschlossenen Elektronik und langen Kabelwegen (auch eher Standardstrippen) unter highendigen Gesichtspunkten unter Wert verkauft hat. Nicht auszudenken, was mit Monsterelektronik, Schallplattenspieler, Kabeln (die teuerer als die ganze hier spielende Kette sein können) und den diversen laut Fachpresse verpflichtenden Tuningmassnahmen noch alles möglich wäre.
Aber auch ohne all diesen Zauber, erlebte ich hier eine der besten Vorführungen der Show. Jawoll mit Pioneer (dass ich so etwas jemals schreiben würde...)!
Kurz: Hier stimmte klanglich einfach alles. Wer von Plattenspielern, Röhrenverstärkern und Hörnern kommt, mag evtl. nach etwas mehr Luftigkeit, Oberton-Zauber oder sonstigen klangverfäschenden Klirr rufen. Aber eigentlich hört man mit vielen highendig gesoundeten Equipment doch nur Fehler. Und sobald man diese erkennt, fängt einen die Wiedergabe unnatürlich zu erscheinen und zu nerven - manche Glückliche gewöhnen sich auch einfach an tonale Fehler oder Klirr. Für all jene ist die S-1EX nichts. Sie spielt ausgewogen, tonal korrekt, ohne etwas zu verschleifen oder hinzuzudichten. Das ist echtes Highend.
Einige Beispiele gefällig? Eine Blues-Gruppe stand dreidimensional perferkt im Raum aufgestellt. Der Koax spielt seine Vorzüge also mühelos aus. Diana Kralls Stimme ertönte neutral, in der richtigen Grösse und authentisch, begleitet von einem gezupften Bass, der sowohl highendiges Fingerspiel wie auch seinen vollen Körper im Raum erklingen liess. In einem Klassikkonzert konnte man sich akustisch förmlich umschauen und mühelos einzelen Spieler ausmachen, ohne das man die mit der oft zu hörenden Analytik oder Schärfe erkaufen müsste. Alles erklingt stimmig und rund. Ein klassisches Stück interpretiert von Marcus Miller, der es natürlich ordentlich krachen liess, zeigte das auch Grobdynamik und Pegelfestigkeit zum Repertoire gehört.
Also ein perfekter Lautsprecher? Nee, den wird es auch nie geben, genauso wenig wie unendlich starke, masselose und unendlich steife Treiber in einem resonanzfreien Gehäuse (oder am besten in gar keinem); aber die S-1EX gehört zu den besten Vollbereichs-Lautsprecher, die ich kennengelernt habe. Wer noch mehr Lebendigkeit und Emotion in den Vortrag bringen möchte, schafft dies mit anderer Elektronik zudem ganz sicher. Diesen Lautsprecher einmal voll auszureizen, wäre sicher eine interessante Aufgabe. Bevor Ihr Geld für Fachpresse-Referenzen rausschmeisst, setzt Euch mit viel Zeit und guter Musik vor diesen Lautsprecher ...und referenziert Eure Ohren.